Es war so schön, so bunt und vielfältig, E und U wirbelten wild durcheinander, ich spazierte und tanzte und taumelte durch vier Tage Leipziger Buchmesse … Und dann kam ein Mann vom SWR2 und fand Mangas und Cosplayer doof, reduzierte sie auf „nackte Hasen“ (mit entsprechendem Clickbait-Foto, blöde Sache, diese Doppelmoral), wollte die aufwendig-fantasievollen Kostümierungen am liebsten verbannen und verbieten – aber den verlinke ich jetzt nicht, denn zum Glück kamen ganz schnell Lena Falkenhagen und Margarete Stokowski (I love you for this, Maggie!), um das schiefe Bild eloquent wieder gerade zu rücken. Zitat Stokowski: „Nur ab und zu wird ein Literaturredakteur von den nackten Schultern eines Hasenmädchens abgelenkt, aber da ist eigentlich ziemlich klar, wessen Problem das ist […] Get over it, Feuilleton.“
Höhenflüge und Abgründe
Dem kann ich nur zustimmen. Es gibt sicher einiges zu meckern bei der LBM (ich persönlich habe zum Beispiel weit größere Probleme damit, dass rechten Verschwörungsfuzzis wie dem Compact Verlag Raum und Standplatz gegeben wird, als mit jedweder Art von Verkleidung oder Entkleidung, aber auch diesen Mist muss die Demokratie wohl aushalten, bis den Krempel keiner mehr sehen oder kaufen mag). Ich bin froh, dass die Messe das Leben spiegelt, in all seinem inkongruenten Nebeneinander von Freude und Trauer, Albernheit und Ernst, Spaß und Politik, Höhenflügen und Abgründen – ihr wisst, was ich meine. Nur weil man gern schräge Bücher liest, sich betrinkt und sich unterhalten lässt, weil man Zeitreisender ist oder Lovecraft-Jünger, auf fremden Pfaden wandelt oder in Sex und Gewalt macht, schließt das doch keinesfalls aus, dass man sich des Ernstes und des Elends der Welt bewusst ist, dass man politisch interessiert und aktiv ist. Und so weiter und so weiter.
Schlaglichter
Meine ganz persönliche Messe war jedenfalls einmal mehr rundum lebensbejahend, und ich hätte da ein paar Schlaglichter für geneigte Leser. Die Kritik an den (im Übrigen eher halbnackten als nackten) Hasen von der Manga-Comic-Convention, die wie die sprichwörtlichen Karnickel die gesamte Messe bevölkerten, nehme ich dazu ein bisschen zum Aufhänger:
Kaum angekommen bleibe ich am Donnerstagmittag spontan am Stand von Deutschlandradio Kultur hängen, weil da gleich Anna Basener aus ihrem neuen Buch „Als die Omma den Huren noch Taubensuppe kochte“ liest, aus dem ich die Woche zuvor in Berlin im ocelot bereits eine Kostprobe hören durfte (mit Eierlikör stilecht aus dem Schoko-Waffelbecher! Da wird auch jeder Skeptiker zum Fan!)
Ich lausche also noch einmal, denn hier schreibt jemand mit Leichtigkeit und Humor und einem tiefen Verständnis vom Leben mit all seinen Facetten, ohne die dunklen Aspekte auszublenden. Das geht, sogar auf Ruhrdeutsch, mit ganz viel Akkusativ, auch wenn ich annehme, das wäre den Verteidigern einer "neuen Ernsthaftigkeit im Literaturbetrieb“ zu frivol oder vulgär oder unangemessen. Allein die Tatsache, dass hier ohne erhobenen Zeigefinger von Prostitution erzählt wird, macht so ein Buch ja schon zum potentiellen Zündstoff.
Der Kanzlerkandidat der SPD hingegen besitzt offenbar eine gesunde Neugier, der bleibt nämlich kurz stehen, um ein paar Worte zu erhaschen, bevor die Traube der Journalisten um ihn herum mit ihm in der Mitte weiterzieht. Der Frau Basener sage ich Großes voraus. Lassen Sie sich vom Feuilleton nicht als neues Fräuleinwunder verwursten, meine Liebe!
Autogramme und Alkoholika
Der Rest des Nachmittags steht dann ganz im Zeichen von Wiedersehen und Neu-Kennenlernen ganz vieler lieber Kollegen und Kolleginnen in der magischen Halle 2, wo sich neben Schul- und Kinderbüchern vor allem die Fantasy-Leseinsel, die Messebuchhandlung Fantasy, und ein ganzer Haufen entsprechender Verlage tummeln. Es gibt Umarmungen und Büchertausch, Tratsch und Neuigkeiten, Autogramme und Alkoholika in vielfacher Ausfertigung. Einer der Kollegen rückt verschwörerisch näher und unterbreitet mir unmoralische Angebote … äh, nein, erzählt mir von einem neuen Projekt, bei dem ich mitschreiben darf.
Und dann wird der erste Abend geplant und ich schließe mich einer Gruppe von Autoren und Herausgebern an, um in der Stadt flugs zu essen und dann einer Lesung im Bierfeinkostgeschäft zu lauschen: Carolin Gmyrek erzählt von Ungeziefer und Zombies, es gruselt und graut, dazu gibt es Biersorten aus aller Welt. Ich entscheide mich für eins aus Hawaii, und sei es auch nur, um das alte Schlager-Vorurteil zu entkräften, dass es dort keins gibt. Die anderen sind konservativer; bayerisches Bier fließt in Strömen.
Die Guerillas sind los!
Der Freitag beginnt recht früh, vor der Universität am zentral gelegenen Augustusplatz. Neun Verrückte (ja, dazu gehöre auch ich) haben sich zur Guerilla-Lesung versammelt und ziehen nun für zwei Stunden durch die Innenstadt, um an verschiedenen Plätzen jeweils 5-Minuten-Häppchen aus ihren Werken zu lesen, begleitet von einem Fotografen und einigen treuen ZuhörerInnen (Hallo Kitterella, hallo Markus Lawo!) Ein großer Spaß, den wir auf jeden Fall nächstes Jahr wiederholen werden.
Den Nachmittag habe ich dann erneut auf der Messe verbracht, zunächst wieder bei der „Familie“ in Halle 2, dann dem Stand vom Festa Verlag einen Besuch abgestattet, denn für den übersetze ich Thriller und manchmal auch Horror. Passt auch gut zum Thema, zur Frage von E und U und Angemessenheit, komme ich gegen Ende nochmal drauf zurück. Ich drehe noch eine Runde durch Halle 5, um mir einen Überblick über die sogenannten „Jungen Verlage“ und „Unabhängigen“ zu machen – viele tolle kleinere und mittlere ‚ernstzunehmende‘, ‚literarische‘ Verlage, auch ein eigener Mikrokosmos, aber größtenteils offen und neugierig, ohne Berührungsängste oder Moserei gegen jedwede Niederungen der Messe.
Am Abend dann eine riesengroße Leseparty in Noel’s Ballroom, einem Labyrinth aus Irish Pub und Veranstaltungssaal, wo die Phantastik-Erotik-Anthologie „Auf fremden Pfaden“ vorgestellt wurde, mit ganz vielen tollen Lesehäppchen und langem Beieinandersitzen im Anschluss. Da bin ich dann erst gegen drei mit dem Taxi entschwunden.
Die wichtigste Regel: Sei nicht blöd.
Samstagmittag schlug ich geradewegs rechtzeitig zu Luci van Orgs Lesung wieder in Fantasy-Halle 2 auf. In ihrem neuen Hausbuch der nordischen Sagen „Die Geschichten von Yggdrasil“ geht es um ebendiese. Es geht um Odin und Thor und Loki, um Kampf und Krieg und Liebe, und all das dargebracht mit Lucis unnachahmlich respektlosem Stil … wobei, respektlos ganz sicher nicht den Göttern oder dem Stoff gegenüber, aber ebenjenem religiös-kulturellem Duktus, der den Zuhörern den Spaß verbieten will und jeweils nur die eine, wahre, abgesegnete Fassung gelten lässt (von sowas haben wir doch da draußen in der Welt jenseits der Messehallen immer noch viel zu viel). Auch hier würde ich einen Gegenentwurf zum verknöcherten erhobenen Zeigefinger der gebotenen Ernsthaftigkeit herausstellen wollen: Denn obwohl es Luci durchaus ernst damit ist, dass sie diese Geschichten und die darin vermittelten Werte den Leuten nahebringen möchte, tut sie das eben, indem sie sie in ihrer Welt abholt, sie glänzend unterhält und eine frische, handfeste Sprache findet. Odins „Gebote“ für ein gutes Leben zum Beispiel fasse ich hier einfach mal mit dem einen, stets gültigen Satz zusammen: „Sei nicht blöd.“
Wieso Halle 2, wieso Fantasy?
Danach geriet ich noch an eine Studentin, die mich und Kollegin Gmyrek für ihre Bachelorarbeit darüber befragte, wieso wir auf die Messe gehen, wieso in Halle 2, zur Fantasy, was uns daran gefällt, etc. Das sollte inzwischen wohl selbsterklärend sein. Klar, ich schreibe selbst in diesem Bereich, ich lese sehr gern ‚eskapistische‘ Bücher, aber vor allem ist es eben jene familiäre, liebevolle, offene und neugierige Gemeinschaft, die man in dieser ‚Ecke‘ vorfindet. Kein Dünkel, keine Steifheit, keine Ellbogen-Konkurrenz. Man gönnt sich und anderen, man freut sich zusammen über Erfolge, man verbrüdert und verschwestert sich, trinkt und lacht und heckt aus, lästert und lebt.
Und dann sagt man sich, genug jetzt mit den Lesungen, lasst uns einfach verschwinden, Essen und Trinken gehen in der Stadt. Drei AutorInnen und eine spontan gepflückte, todesmutige Bloggerin (hallo Elena von Elenas Zeilenzauber, hihi! Nein, DU hast Aubergine gesagt!) Der Rest ist Geschichte, ich sag nur: Ich habe schon lange nicht mehr so pausenlos gelacht!
Zuletzt also der Sonntag. Ein Streifzug durch die restlichen Hallen, Mangas und Cosplayer und Merchandise in Halle 1 (ich sehe das verdammte Problem nicht, ist doch toll, was da los ist!), dann in Halle 3 und 4 die Buchkunst, das Übersetzerforum, Bücher und Verlage aus aller Welt, ein riesengroßer Hörbuchbereich, die TV- und Radiosender der ARD mit ihrem Hörbuch/ Hörspielangebot, die großen Publikumsverlage, und noch einmal die Unabhängigen in Halle 5.
Die Tiefen und Untiefen des Menschseins
Und schließlich ein Gespräch zum Thema „Die Lust am Schrecken: Sex und Horror in der Literatur“ mit Frank Festa vom Festa Verlag und Debora vom Blog The Falling Alice. Damit lässt sich glaube ich ganz gut der Bogen zurück zur Frage nach der Berechtigung unterschiedlicher Dinge schlagen. Denn hier spricht einer Klartext, der sich ganz tief in den Abgründen der Literatur (und damit ja auch immer der menschlichen Psyche) herumtreibt, der Extreme Horror, Thriller und krasse Sachen veröffentlicht. Unterstützt von einer jungen Bloggerin, die neugierig genug ist, diese Bücher neben den vielen anderen, die der Markt zu bieten hat, auch zu lesen. Hier wird Horror-Altmeister H.P. Lovecraft zitiert: „Das älteste und stärkste Gefühl ist Angst, und die älteste und stärkste Form der Angst ist die Angst vor dem Unbekannten.“ Und um das Ausloten und Ausleuchten dieses Unbekannten, um das Heraufbeschwören der Götter, Monster und Dämonen geht es doch im Grunde – Nicht bloß im Horror, in extremen Geschichten von Gewalt, Sex und Tod, nicht bloß in der Fantasy, der Phantastik. Auch die ganz ernste, ernstgemeinte Literatur lotet doch letztendlich aus, was es heißt, Mensch zu sein. Was sich da verbirgt in den Tiefen und Untiefen unserer selbst. Und in unserer Zeit, wo wir schon so viel Grausiges gesehen, gehört, erlebt haben, wo uns die Nachrichten und das Privatfernsehen und der Rest der verfügbaren Medien uns schon gesättigt und abgestumpft haben, so Festa, da brauchen wir manchmal stärkere Reize, um noch irgendwie aus unseren Alltag herausgeholt, aufgeweckt, herausgefordert zu werden. Er beruft sich auf Shakespeare, der die Menschen zu seiner Zeit schockiert und unterhalten hat, bei dem es um Inzest, Krieg, Gewalt, Macht und Tod ging, aber auch um Witz und Wortspielereien. Er war vulgär und volksnah, bei ihm wurde sich verkleidet, es gab Cross-Dressing und Menschen in Eselsgestalt. Und heute ist er Klassiker und Kanon. Wieso also die Nase über Mangas und Cosplay rümpfen?
Im Gespräch geht es auch darum, dass weit mehr Frauen diese extremen Genres lesen. Vielleicht, so spekuliert The Falling Alice, weil Frauen offener und neugieriger sind, eher bereit, etwas auszuprobieren. Besonders erhellend fand ich aber den zitierten Leserkommentar: „Im Kopf gibt es eben keinen, der zensiert.“ Da draußen würden sich viele gern zum Torwächter und Hüter des guten Geschmacks aufschwingen, aber das halte ich für grundfalsch, denn im Besserwissen und der Lust am Verbieten begegnen sich sonst irgendwann am Ende Hochkultur und Populismus, wenn beiden die Vielfalt mehr als suspekt ist.
Mein Plädoyer:
Noch einmal: Politik und Pulp, Eloquenz und Ekel, Sex und Blumenwiese, Wortmagie und derbe Sprache haben schon immer gleichzeitig und gemeinsam existiert – und wenn man keine Grenzen zieht, keine blöden Mauern baut (hallo, Herr Trump!), dann kommt dabei oft die tiefste Wahrheit heraus, diejenige, die die Menschen am meisten berührt. Edgar Allan Poe. Allen Ginsbergs „Howl“. Stephen Crane, einst verlacht wegen seiner merkwürdig sperrigen Gedichte und weil er es wagte, über eine Prostituierte zu schreiben. Gerade sind einige seiner Kurzgeschichten in bibliophiler Aufmachung im mare Verlag erschienen.
Am Ende sind wir alle Geschichtenerzähler, wie unsere Vorfahren, die ums Feuer saßen. Sie haben Geschichten erzählt, um die Welt zu verstehen und gegen die Angst vor dem Dunkel, vor dem Unbekannten. Und einfach so, weil’s einen Heidenspaß macht!!!
Ich bin promovierte Literaturwissenschaftlerin, aber auch gelernte Buchhändlerin, heute Übersetzerin und Autorin. Ich lese gerne Klassiker und Komplexes, aber ich mag den Dünkel nicht, der diesen Bereich vor allem im Deutschland auch heute noch umweht. Und ich fühle mich in meinem Captain-America-Kleid im Marvel Cinematic Universe ebenso wohl wie auf Metalfestivals und im Kreise meiner KollegInnen, die Steampunk und Tentakelsex schreiben, Kinderbücher über Orks zeichnen oder bizarre Kriminalfälle erfinden, unsere germanischen Götter zum Leben erwecken oder gemeinsam die Zombie-Apokalypse über Deutschland hereinbrechen lassen…
Wie schon zu Beginn gesagt: Es war so schön, so bunt und vielfältig. Das sollte am Ende bleiben, kein schaler Beigeschmack. Prost!
Und zum Schluss der Werbeblock:
Im Übrigen lese ich am Mittwoch, den 5. April gemeinsam mit Luci van Org in der wunderbaren Chaostheorie in Berlin. Ich bringe Tentakelsex mit und eine Story über den toten Bowie, und Luci gibt Geschichten von Yggdrasil zum Besten. Kommt und lasst euch einfach unterhalten!
Kommentar schreiben
Anja (Mittwoch, 29 März 2017 07:51)
Liebe Claudia, wenn ich auch nur halb so schön erzählen könnte wie du, wie toll diese Messe war, dann wäre ich zufrieden. Wir haben uns nur kurz gesehen und dennoch teilen wir ein Grundgefühl: Das Ganze ist hier mehr als die Summe seiner Teile.
Die Messe war unser Vehikel, um der Welt zu zeigen, wie es um uns steht - mit "uns" meine ich Autoren und Verlage der Phantastik. Und wir haben gezeigt, dass wir pulsieren, weil wir nicht spalten, sondern vereinen.
Ja, wir sind die Nachkommen derer, die am Feuer erzählten. Wir sind aber auch diejenigen, die mit einem lachenden Auge erzählten, denen der Schalk im Nacken sitzt und die nicht davor zurückschrecken, die Dinge auch einmal auszusprechen, über die andere schamhaft grinsen. Wir sind aber keine Prediger und Kulturwächter, sondern wir wollen ein Glas füllen - nicht nur das Gefäß betrachten oder über den Inhalt reden. (Huch, das war jetzt vielleicht zu verschwurbelt, aber ich wollte eine Metapher gleich dem Trankopfer machen, welches Lucy für die Yggdrasil-Lesung brachte.)
Ich finde, wir haben unsere Sache gut gemacht und ich danke dir für deine tollen Worte.
Claudia (Mittwoch, 29 März 2017 11:45)
Danke für deinen Kommentar,
und ja, das mit dem vollen Glas sehe ich ganz genauso. Ankucken ist ja schön, aber ich will auch trinken! (Weiß ja jeder, der mich kennt, höhö)
*Küsschen!*