PASSATEMPO - eine Geschichte über Sex, Henry und Rock'n'Roll

Wieder nichts. Gequirlte Wikingerkacke!

      Das Musikstück war zu Ende und ich öffnete langsam und widerwillig meine Augen. Das Rauschen aus den Lautsprecherboxen war viel zu laut in der plötzlichen Stille. Mit diesen Experimenten würde ich mir noch meine Ohren ruinieren. Aber ich konnte einfach nicht damit aufhören. Ich musste die Melodie finden, die mich durch die Zeit reisen lassen würde!

Mein Blick fiel auf den Stapel Bücher und Ausdrucke, der sich neben dem Sofa in meiner kleinen Dachwohnung in Altona türmte. Die Sache schien aussichtslos. Ich hatte all das und noch mehr gelesen, nach Hinweisen durchsucht, geforscht, gegrübelt und probiert. Ich hatte mit Neuropsychologen und Musikwissenschaftlern geredet, mit Spielerkollegen, Hackern und natürlich auch mit meiner besten Freundin Luise.

     Luise glaubte, sie sei die Einzige, die durch die Zeit reisen konnte. Pah! Ich war dafür doch ungleich prädestinierter. Das Mädchen war sowas von rational und nüchtern; wieso sollte ausgerechnet sie in der Lage sein, mithilfe von Musik ins Mittelalter zu verschwinden?

      Aber Fakt war, sie hatte es getan. Mehrfach. Sie hatte ein filmreifes Wahnsinnsabenteuer erlebt, inklusive Wikingern, Schiffbruch, finnischen Liebhabern und jeder Menge Backstagepässe. Und am Ende war es richtig gefährlich geworden...

       Aber ich wollte nicht schon wieder neidgeplagt an Luise denken. Ich wollte es jetzt endlich selbst erleben! Wie üblich, wenn eine vielversprechende Melodie, wenn ein Song nicht die gewünschte magische Wirkung gezeigt hatte, wanderten meine Gedanken zu dem einzigen Text, der tabu war. Karel Kyllis Beschwörungslieder und Bannsprüche der Tavastländer, ein seltsames Machwerk eines deutsch-finnischen Folkloristen, auf das ich durch meinen Online-Kumpel Ville aus Kuopio gestoßen war. Kylli hatte Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in ländlichen Gegenden Finnlands Zaubersprüche, Lieder und Legenden gesammelt, ähnlich wie sein bekannterer Kollege Elias Lönnrot, von dem das Buch der finnischen Mythologie stammt, das Kalevala. Im Gegensatz zu Lönnrot wurde Kylli aber verlacht und abgelehnt. Er glaubte fest an Magie und verbrachte sein Leben damit, an den unvollständigen Liedern der alten Runensänger herumzubasteln, immer in der Hoffnung, dass er selbst das Zaubern lernen konnte. Er hatte damit niemals Erfolg gehabt.

       Dennoch, wie schon so oft juckte es mich in den Fingern, es auf seine Weise zu versuchen. Und wer sollte mich eigentlich daran hindern?

      Ich war alleine, es war spät am Abend und ich wusste, dass das Haus leer war. Sonst hätte ich um diese Zeit sicher kein weiteres Experiment mit voll aufgedrehtem Bassregler gemacht. Wieso also nicht doch noch einmal in Kyllis Buch schauen und die von ihm aufgezeichneten Gesänge ausprobieren? Ich schlug das entsprechende Kapitel auf:     

 

Wie man die Toten zurück ins Leben holt, einen Blick auf seine eigenen Nachkommen erhascht, und mithilfe des Astralkörpers an ferne Orte und in ferne Zeitalter reist: Lieder des innersten schamanischen Geheimnisses.

 

       Ja, natürlich, das klang jedes Mal wieder ziemlich durchgeknallt. Aber das war noch gar nichts im Vergleich zu all den absurden und peinlichen Dingen, die ich schon probiert hatte, um durch die Zeit zu reisen. Es fing an mit Klassikern wie Schallplatten rückwärts anhören und dabei Kopfstand machen. Beim Abspielen von Songs Geschwindigkeit und Pitch ändern, den gleichen Song aus drei verschiedenen Quellen laufen lassen, die wie ein magisches Dreieck um mich herum im Zimmer angeordnet waren. Das hatte ich mit Plattenspieler, Computer und dem Ghettoblaster von Manfred aus dem ersten Stock geschafft. Dann kamen die Methoden für Fortgeschrittene, wie Belladonna-Tinktur trinken und dann aufs Konzert von Epiphania gehen. Selten so gekotzt wie an diesem Abend. Ich weiß, ich weiß, das klingt weder besonders clever noch erwachsen, aber ich wollte es unbedingt. Ich hatte auch probiert, mich in irgendwelche Musikerinnen zu verlieben, damit deren Kompositionen mich vielleicht auf die Reise schicken könnten. Ein Desaster nach dem anderen. Ersparen wir uns eine Aufzählung der Latzhosenfrauen, Punkladys und Konservatoriumsmädchen, denen ich sinnlos nachgestiegen bin, bis ich einsehen musste, dass ich auf dem Holzweg war.

       Kurzentschlossen verbannte ich die Gedanken an all das und las noch einmal die Worte des besessenen kleinen Mannes, der dieses Buch geschrieben hatte. Karel Kylli. Blutrituale, seltsame Sprechgesänge mit hypnotischem Rhythmus... Moment, Sprechgesänge? Vielleicht war Rap ja die Lösung. Gab es HipHopper, die das Geheimnis kannten? Yo, ich reise durch die Zeit, bist du auch bereit, oder bist du wieder breit, dann tut es mir leid, der Weg ist zu weit, dir bleibt die Einsamkeit... Nein. Rap war definitiv auch keine Lösung.

       Der dritte Whiskey-Cola des Abends schien Wirkung zu zeigen. Die Buchstaben verschwammen vor meinen Augen, die ich zusammenkneifen musste. Vielleicht doch so ein Blutritual? Ich hielt das mit einem Mal für eine sehr gute Idee. Ich las mir die Anweisungen nochmal durch und ging in die kleine Küche, um ein scharfes Messer zu holen. Ich fand es nicht in der Schublade, wo es hingehörte, sondern auf dem Kühlschrank, bei den Limetten. Oh, Limetten. Ich könnte mir einen Cocktail mixen. Nein, jetzt erst mal ein Blutritual.

 

Ich saß im Schneidersitz auf dem Parkettboden meines kleinen Wohnzimmers. Zur Untermalung hatte ich die neue CD von Lumiukko eingelegt. Instrumental, wunderbar kraftvoll und nachgewiesenermaßen magisch. Selbstverständlich hatte ich es mit der Musik von Luises Lieblingsband schon hundertmal versucht. Aber als Stimmungsmacher taugte sie allemal. Vor mir stand eine kleine Schale, die ich normalerweise für Erdnüsse verwendete. Es war eine blau-weiß gemusterte, chinesische Schale, in der sich das rote Blut gut machen würde. Ich nahm einen weiteren tiefen Schluck aus dem mittlerweile vierten Glas Whiskey-Cola und stellte das Getränk beiseite. Dann schielte ich ein letztes Mal zum aufgeschlagenen Buch hinüber. Ich wollte sichergehen, dass ich mir den Singsang richtig gemerkt hatte.

      Es konnte losgehen. Ich hob das lange Küchenmesser mit beiden Händen in die Höhe, so dass die Spitze zur Decke zeigte, über meinem Kopf. Dann drehte ich es mit der rechten Hand herum, während ich die linke mit der Handfläche nach oben ausstreckte. Ich atmete tief ein, der Raum war erfüllt vom Klang der klagenden Celli, des wummernden Schlagzeugs aus meinen Boxen. Ich fühlte mich jetzt ganz wohl, ein wenig schwummerig, ein wenig angespannt. Das Messer. Meine Handfläche. Der Spruch aus Kyllis Aufzeichnungen.

       Pling.

       Das Klingelzeichen meines Posteingangs.

       Eigentlich hätte ich das unter dem Klanggewitter von Lumiukko gar nicht hören dürfen. Aber ich hatte es ganz deutlich gehört, wie den Warnruf eines aufgeschreckten Vogels, wie die Fürsorge einer Mutter. Blödsinn. Ich hatte es einfach gehört, aber es hatte den entscheidenden Moment der Konzentration gestört, zerstört..

       Pling.

      Ich starrte auf das Messer in meiner rechten Hand, auf meine ausgestreckte Linke. Ich war so ein Idiot! Das Ritual war doch dafür da, die Zukunft zu sehen, und ich wollte in die Vergangenheit! Wieso hatte ich mir diesen Spruch ausgesucht, war ich etwa betrunken? Ich sollte mich wirklich besser konzentrieren... Also gut, ich musste den Computer ausmachen, den vierten Drink wegschütten und dann das richtige Ritual aussuchen.

      Kopfschüttelnd stand ich auf und wankte zum Schreibtisch. Aber die Neugier war natürlich stärker als meine Absichten. Ich schaute in mein E-Mail-Postfach. Zwei neue Nachrichten von Eva Lundegroen. Eine Mailadresse der Universität Turku in Finnland. Erst stierte ich nur planlos auf den Bildschirm. Dann dämmerte es mir. Doktor Lundegroen, Bodenarchäologin, die ich vor ein paar Monaten nach dem Algenproblem in der Ostsee gefragt hatte... Lange Geschichte, hing auch mit Luise zusammen. Egal. Die Neugier machte mich beinahe nüchtern.

 

Oh weia. Doktor Eva Lundegroen war wirklich auf etwas gestoßen, das zur wissenschaftlichen Sensation zu werden drohte. Schön für Doktor Lundegroen, aber blöd für mich, denn ich hatte sie ja darauf gestoßen, konnte aber keineswegs sagen, woher ich meine Fakten hatte. Denn die waren tausend Jahre alt und stammten von Luises Zeitreisen. Und jetzt wollte sie sich plötzlich unbedingt mit mir treffen, wenn sie zu einer Tagung nach Göttingen kam. Ich überlegte noch, wie ich aus dieser Sache wieder rauskommen könnte, als mir das ganze Ausmaß des Desasters dämmerte: Eva Frau Doktor Langstrumpf schrieb, dass sie morgen in Hamburg vorbeischauen würde! Morgen?

     Sie bezog sich in ihrer Nachricht auf frühere E-Mails, die ich aber nie erhalten hatte. Oder? Ich durchstöberte meine alten Nachrichten, den Papierkorb, den SPAM-Ordner. Nein, keine Eva, nirgends. In meinem whiskeyschweren Kopf meldete sich eine kleine, piepsige Stimme. Ich hörte ihren Argumenten zu und befürchtete, dass ich an einem oder mehreren solcher Abende wie heute, fixiert auf meine Experimente und ziemlich bis völlig betrunken oder belladonnisiert, einfach alle neuen E-Mails ungelesen gelöscht hatte, wenn sie mir uninteressant, bedrohlich oder albern vorgekommen waren. Die Betreffzeilen, meine ich. Oh weia.

      Frau Doktor Eva machte mir Angst. Wenn ich ihr gegenübertreten wollte, musste ich nüchtern und hellwach sein, sonst würde ich alles ausplaudern, was sie niemals wissen durfte! Mit diesem Gedanken warf ich mich theatralisch aufs Sofa, nachdem ich den Plattenspieler mit einem gemeinen Fußtritt ausgeschaltet hatte. Drei Minuten später war ich eingeschlafen.

 

Wecker waren doch eigentlich eine tolle Erfindung. Wieso zum Teufel hatte ich also gestern Nacht keinen gestellt? Stöhnend stemmte ich mich vom Sofa hoch und schlich resigniert ins Bad. Immerhin half die Dusche mit dem Hellwach-Aspekt meines kein bisschen durchdachten Plans: Der Heißwasserboiler sprang einfach nicht an. Also ließ ich mich schicksalsergeben eiskalt berieseln und schwankte dann zitternd aus der Duschkabine. Desaster, das war es, was der Tag versprach. Und wie zuversichtlich er es versprach!

       Treffen Sie mich doch um 12 zum Essen bei Passatempo in der Nähe der Michaelerkirche, kennen Sie das?  

      Kannte ich nicht. Ich googelte das italienische Restaurant und sah gehetzt auf die Uhr. Würde ich das noch schaffen bis zwölf? Oder sollte ich die Verabredung sausen lassen, irgendwas erfinden und hoffen, dass sie beleidigt wäre und sich nie wieder melden würde?

     Neugier. Neugier war wirklich eine penetrante Sache, ob wissenschaftlich, detektivisch oder ganz banal persönlich. Mit Neugier war ich üppig gesegnet, also warf ich mich in halbwegs passable Klamotten, kämmte eher vergeblich meine zu langen Haare und machte mich auf den Weg.

 

Passatempo. Ich grübelte noch über die Perfidie ihrer Restaurantwahl, denn Passatempo bedeutete auf Italienisch Zeitvertreib, Spielerei, Kurzweil. Wie subtil! Dieser Frau Doktor würde ich was erzählen! Mit zusammengezogenen Augenbrauen betrat ich das winzige, atmosphärische Lokal. Es war fünf Minuten nach zwölf. Und hier drinnen umfing mich der Duft von Tomaten, Knoblauch und Olivenöl. Mein Magen, der Verräter, knurrte lüstern und gierig. Und dann sah ich eine Erscheinung und wäre am liebsten niedergekniet.

     Blondes, langes Haar bis zum Hintern. Blaue, große Augen mit ganz leichtem Grünstich. Hohe Wangenknochen, Stolz, Gewandtheit und Anmut. Mir wurde fast schwindelig. Schon stand ich vor ihr, wie an unsichtbaren Fäden gezogen.

       "Doktor Lundegroen?"

    Ich musste fassungslos geklungen haben, denn sie verkniff sich ganz offensichtlich ein Kichern. Ein mädchenhaftes, erotisches, sagenhaftes Kichern.

       "Eva. Sie sind Henry. Ich hatte Sie für älter gehalten."

       Mist!

       "Ich verhungere gleich, ich komme direkt vom Flughafen. Konnte gerade noch mein Gepäck im Zimmer oben abstellen. Also setzen Sie sich und suchen sich aus, was sie essen wollen, sonst werde ich unausstehlich."

       Ihr Wunsch war mir Befehl. Ich spürte ein unmissverständliches Ziehen im Unterbauch und, geben wir es ruhig zu, in den Lenden. Was für eine Frau! An was hatte ich noch gleich denken wollen? Ach ja, vorsichtig sein und bloß nicht zu viel reden ...

       "Oh, Henry! Sie reden aber wirklich wie ein Wasserfall!" Sie kicherte. Mädchenhaft, erotisch, sagenhaft. Um mich war es geschehen. Was hatte ich gerade wieder erzählt? War doch gleichgültig, wenn ich sie zum Lachen bringen konnte! Fasziniert sah ich ihr zu, wie sie einen großen Teller Tagliatelle Arrabiata verputzte. Darüber hätte ich fast vergessen, meine eigenen Tortiglioni zu essen. Die waren allerdings so perfekt zubereitet, dass sie sich sozusagen immer wieder von selbst in Erinnerung brachten, wenn ich vom Anblick Eva Lundegroens abgelenkt war.

       Als unsere beiden Teller leer waren und sich die befriedigte Sattheit über den Tisch senkte, brachte der Kellner ungefragt zwei Sambuca an den Tisch und entzündete sie mit einem langen Streichholz. Wir sahen ihm wie gebannt zu und hoben gleichzeitig die Gläser. Wieder fiel mir auf, dass ich mich kaum an ein Wort erinnern konnte, das ich in der letzten halben Stunde geredet hatte. Wir schoben die Bierdeckel über den flambierten Schnaps, um die Flammen zu ersticken. Dann sahen wir einander an und tranken todesmutig. Der heiße Alkohol, süß und würzig und kaffeebitter, rann unsere Kehlen herab, während unsere Blicke immer noch verschränkt blieben. Zwecklos, dieses Feuer ersticken zu wollen. Evas Mund formte ein Lächeln und ihre Augen blitzten.

       "Kommen Sie mit rauf, ich habe oben ein Zimmer gemietet?"

       Bevor ich etwas Bescheuertes antworten konnte, fügte sie hinzu:

       "Dann zeige ich Ihnen meine Ergebnisse. Ich bin so gespannt, was sie davon halten!"

      Oh weia. Meine Fantasie ging ganz offensichtlich mit mir durch. Ich war der Einzige am Tisch, der dieses lustvolle Ziehen in den Lenden verspürte. Genauso gut hätte ich mir gestern Nacht auch das Küchenmesser in die Hand rammen können. Immerhin wäre ich dann vielleicht in die Zukunft gereist.

      

Dieser Wahnsinnshintern ging vor mir die enge Treppe hinauf. Der Sambuca musste mir die Sinne vernebelt haben, auch wenn es nur ein winziges, geschwungenes Gläschen gewesen war. Desaster, Desaster. Ich war Desaster gewöhnt, Frauengeschichten endeten bei mir immer im Desaster. Aber wie hypnotisiert folgte ich Eva die Treppe hinauf. Dann schloss sie das zweite Zimmer auf der linken Seite auf und trat ein. Ich sah ein Doppelbett mit blutroter Tagesdecke, auf dem eine bunte Reisetasche lag, daneben ein Laptop.

       Sie hob beides auf und legte Tasche und Computer auf den winzigen Tisch am Fenster, während ich dumm an der Tür stehen blieb. Ihre Hände verharrten kurz über dem Laptop, unschlüssig, ob sie ihn zurechtrücken und öffnen sollte. Dann drehte sie sich zu mir um und sah mich mit einem schiefen Lächeln an.

       "Wie alt sind Sie wirklich?"

       Als ich sie nur begriffsstutzig ansah und mühsam meine wandernden Gedanken im Zaum hielt, fügte sie schnell hinzu:

       "Als Sie mich nach den Algenvorkommnissen in der Ostsee gefragt haben, habe ich angenommen, Sie seien ebenfalls ein Wissenschaftler, der in ein Forschungsprojekt eingebunden ist. Universität Hamburg. Aber ... nun sehen Sie eher aus wie ein ..."

       Sie vollendete den Satz nicht, sondern zog einen leichten Schmollmund.

       "Wie jemand, der sein Leben mit Rollenspielen am Computer vergeudet?" half ich aus, und meine Stimme klang in diesem Moment fast bitter.

       "Oh. Genau, ja, genau so!"

       Wunderbar. Gequirlte Wikingerkacke. Da traf ich einmal eine Frau, die mir total den Kopf verdrehte, bei der ich nicht mehr wusste, wer ich eigentlich war, und sie sah mir an, wer ich tatsächlich war. Der Sambuca hatte ihr offenbar nicht ihr hübsches Köpfchen vernebelt.

       "Viking Vixen IV?"

       Mir blieb der Mund offen stehen. Hatte sie gerade Viking Vixen Volley gesagt?

       "Ragnarök Raiders?"

       Fassungslos sah ich sie an. Wikingerrollenspiele. Und zwar die echt abgründigen, heftigen, mit viel Sex und Met und Gemetzel.

       "Äh."

       Sie kicherte, und wir alle wissen ja inzwischen, wie sich das anfühlte.

     "Niemand würde mich verstehen. Das ist mein kleines Geheimnis, meine Leidenschaft für diese Spiele. Ich meine, hey, Bodenarchäologie braucht einen Ausgleich. Man stößt schließlich nicht jeden Tag auf Sensationen wie diese Sache mit den Algen im zehnten Jahrhundert..."

       Ich konnte sie nicht weiterreden lassen. Es gab eine Million Gründe, und nur die logischsten davon waren die Tatsache, dass ihr Mund zu verlockend war, und der Fakt, dass ich nicht über die Algen im zehnten Jahrhundert reden wollte. In ihren blaugrünen Augen versicherte ich mich kurz, dass ich mich nicht irrte, und dann küsste ich sie.

       Unsere Kleider glitten zu Boden, unsere Körper verschmolzen. Blasse Glieder auf der blutroten Tagesdecke. Ein Hinsinken, ein Eintauchen und dann ein Feuerwerk. Irgendetwas ganz Seltsames geschah, obwohl ich nach einem Sambuca unmöglich betrunken sein konnte. Es war, als ob die Zeit stockte, innehielt und sich dann entschied, für uns beide ein paar Minuten stehenzubleiben. Wir drängten ihr keuchend und gierig unseren eigenen Rhythmus auf, erst hastig und dann wie in einer ekstatischen Zeitlupe, bis alles um uns herum in Farben und Licht explodierte. Die Welt drehte sich, wir waren der Mittelpunkt, die Sterne tanzten.

       Mein Atem war noch nicht wieder in der Gegenwart angekommen und hinkte hinterher. Es klang wie ein Keuchen. Eva kicherte. Ich musste kurz die Augen schließen, denn mir war schwindelig vor Glück und Erfüllung.

       "Mir gehen schon wieder diese Algen durch den Kopf", flüsterte sie. "Deine Spekulationen haben voll ins Schwarze getroffen, es ist fast, als wärst du dort gewesen, vor tausend Jahren. Es ist mir wirklich ein Rätsel, wie du darauf gekommen bist, wenn du nicht mit deiner Zeitmaschine ins Mittelalter geflogen bist."

       Sie lächelte mich unter schweren Wimpern an und ich sagte, was ich schon beim ersten Mal gesagt hatte.

       "Ich lese eben viel. Man zieht seine Schlüsse."

       Was konnte es Unwichtigeres geben als Zeitreisen? Mein Neid auf Luise war verflogen.